PoWi

Material zu Untericht und aktuellen Problemen

Folgendes Interview gab Verheugen heute nach der Wahl in Österreich und der Abstimmung in Italien den "tagesthemen" - Ausschnitt:

Verheugen:  Wir stehen vor einer Phase noch größerer Unsicherheit, welchen Weg das Land einschlagen wird. Das Ergebnis und der Rücktritt werden Reaktionen haben - etwa auf den Finanzmärkten und auf den Euro-Kurs. Auch bergen die unvermeidlichen Neuwahlen das Risiko in sich, dass sich das traditionell unglaublich europafreundliche Italien von der EU abwendet. In der jüngsten Umfrage des Europäischen Parlaments zur Stimmung in der EU kam zu dem erschütternden Ergebnis, dass in Italien nur noch 38 Prozent der Bürger die Europäische Union für Nützlich halten. Das wird Auswirkungen auf die kommenden Wahlen haben. Für den Zusammenhalt in der EU bedeutet das nichts Gutes.

tagesschau.de: Woher kommt dieser Stimmungsumschwung?

Verheugen: Italien kommt seit der Finanzkrise  wirtschaftlich nicht auf die Beine. Das hat sehr viel mit europäischer Politik zu tun, vor allem auch mit deutscher Politik. Der von Italien geforderte Stabilitätskurs hat dafür gesorgt, dass im Land nicht genug investiert wird. Industriearbeitsplätze sind massiv verloren gegangen. Man kriegt die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff Deshalb herrscht in Italien auch eine Jugendarbeitslosigkeit von 36 Prozent! Und die Italiener fühlen sich auch in der Flüchtlingsfrage alleingelassen.

Die Italiener haben in den vergangenen Jahren in bemerkenswerter Weise versucht, die Spar-Auflagen zu erfüllen, die ihnen die europäischen Partner, allen voran Deutschland, gemacht haben. Hier liegt jedoch das Problem. Zudem haben wir es mit einem Konstruktionsfehler des Euros zu tun. Eine Währungsunion kann nur funktionieren, wenn die Mitgliedsstaaten ungefähr die gleiche Wettbewerbsfähigkeit mitbringen oder wenn eine governance existiert, die den Unterschieden Rechnung trägt. Das ist in der EU aber nicht der Fall. Das Ergebnis ist, dass die Unterschiede immer größer werden. Deutschland profitiert vom niedrigen Euro-Kurs sehr viel stärker, als alle anderen Länder. Dieses Konstruktionsproblem der Eurozone muss man angehen! Wir sollten auch nicht länger darauf setzen, dass Länder, die aufholen müssen, dies durch interne Abwertung, also Sozialeinschnitte bewerkstelligen müssen.  Wir werden deshalb nicht darum herumkommen, dass innerhalb der Euro-Zone ein größerer Geldtransfer stattfindet - von den reicheren in die ärmeren Länder. Das hören wir Deutschen nicht gern, aber so ist die Lage.