Türkei: Ehrlosigkeit für Tausende

Traditionell prägt der Ehrbegriff in seinen verschiedenen Facetten die türkische und die kurdische Gesellschaft. Das Fehlverhalten eines Familienmitgliedes wird so aufgefasst, dass die Ehre aller Familienmitglieder beeinträchtigt ist. Die verhafteten, suspendierten, verurteilten Menschen gelten als "serefsiz" – ehrlos.

 

Ungeachtet dessen, ob derjenige tatsächlich schuldig ist oder nicht, als Putsch-Beteiligter ist er ein "Ehrloser" und zieht seine ganze Familie mit ins Unglück – sollte sie ihn nicht aus der Familie verstoßen. Für die ganze Familie hat das fatale Folgen. Die Kinder der Betroffenen werden in der Schule einen "Spießrutenlauf" erleben: Man wird mit dem Finger auf sie zeigen, die verbliebenen, regimetreuen Lehrer werden sie diskriminieren. So ergeht es auch nach wie vor vielen kurdischen Kindern, die nur, weil sie Kurden sind, in der Schule kaum Chancen haben. Die Frauen werden beim Einkaufen angepöbelt werden: "Du bist doch die Frau von dem Verräter vom 15. Juli…". Freundschaften und soziale Kontakte werden zerbrechen, weil man sich von der Familie des "serefsiz" (Ehrlosen) besser fernhält, um nicht in den Fokus des Staates zu geraten. In der Oberschicht wird dies noch ganz andere Konsequenzen haben. Die verhafteten, suspendierten Generäle, Richter, Beamten etc. sind in der türkischen Wirtschaft gut vernetzt. Die Kinder studieren oft im Ausland, z.B. in den USA. Durch die Beschlagnahmung ihres Besitzes und Vermögens verlieren sie nicht nur ihre Häuser und Privilegien. Die Familie wird sich vieles nicht mehr leisten können.

Nun erleben die Militärangehörigen und Beamten das, was die Kurden in der Türkei schon seit Jahrzehnten erleiden mussten und wo in den letzten Monaten auch Teile der inhaftierten Militär- und Polizeieinheiten als Täter selbst beteiligt waren: die Enteignung oder Zerstörung kurdischer Häuser, auchFolter. Nur, dass nun in ihrem Fall die Regierung keinen Hehl mehr aus der Folter macht, sondern diese mittels Fotos öffentlich zur Schau stellt. Die Folterungen an den Kurden und anderen politischen Häftlingen geschah hinter verschlossenen Türen und es wurde peinlichst darauf geachtet, dass keine Film- und Fotodokumente an die Öffentlichkeit drangen.

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